
Musik für Ungeborene
Die ersten Sinne, die das Ungeborene entwickelt, sind das Gehör und der Tastsinn. Schon sieben bis acht Tage nach der Befruchtung entsteht die erste Hörzelle. Nach 4 ½ Monaten, also gerade einmal nach der Hälfte der Schwangerschaft, ist das Innenohr schon voll ausgebildet. Ein Sinnesorgan bildet sich umso schneller und feiner aus, je mehr Reize es bekommt. Was ist das, was dieses winzig kleine Wesen im Leib seiner Mutter hört? Wie hört es, und woran erinnert es sich später?
Das Ungeborene hört und fühlt Klänge. Wie ist seine Geräuschumgebung beschaffen? Da ist vor allem das mächtige Rauschen des Blutstroms, dunkel, gewaltig auf- und abschwellend, laut. Ob sich Babys daran erinnern, wenn sie das Brausen eines Föns, das Gerumpel der Waschmaschine oder das Motorengeräusch im Auto so angenehm finden, dass sie sich dabei beruhigen und einschlafen?
Dann ist da das dumpfe Schlagen des Herzens, stetig, verlässlich. Rhythmus ist ein immer wiederkehrendes Ereignis, ist geschlossene Zeit, Zeit, die wieder zu ihrem Ursprung zurückgeht, neu beginnt. Das Kind erfährt Sicherheit, entwickelt Vertrauen. Etwas kommt und geht und kommt wieder, von Anbeginn aller Zeiten bis zu ihrem Ende.
Diese regelmäßige Bewegung des Klopfens macht auch die Mutter ruhiger. Wenn Menschen ein Baby auf den Arm nehmen, halten sie es oft auf ihrer linken Körperseite. Sie halten es instinktiv in die Nähe ihres Herzens, weil das Baby sich mit diesem Geräusch und der Vibration leichter beruhigt.
Außer dem Blutstrom und dem Herzschlag hört das Kind das Gurgeln, Gluckern, Pfeifen und Rumpeln des Darms. All diese Innengeräusche sind dunkel und recht laut. Sie bilden einen Klangteppich, in dem andere, ebenso dunkle Töne untergehen. Geräusche von außerhalb werden verschluckt, wenn sie tief sind. Helle dagegen werden eher wahrgenommen. Die Bauchdecke der Mutter und die immerhin ca. 2 cm dicke Wand der Gebärmutter dämpfen Außengeräusche zusätzlich.
Dennoch hört das Ungeborene Geräusche von außen. Durch die Schwingungen, in die die Bauchdecke versetzt wird, und die sich nach innen übertragen; und dadurch, dass die Mutter hört und über ihr Trommelfell die Geräusche nach innen über die Knochenleitung übertragen werden. Knochen sind recht luftige Gebilde, und über sie setzt sich Klang nach innen fort. Über den Schädel der Mutter wandert die Schwingung die Wirbelsäule entlang nach unten und wird verstärkt von den großen Knochen des Beckens.
Das Baby hört gefilterte Außengeräusche. Gleichzeitig spürt es die erfreute oder weniger erfreute oder auch neutrale Reaktion der Mutter. Wenn also zum Beispiel der Vater mit der Mutter spricht, bekommt das Kind gleichzeitig zwei Informationen: Die Stimme des Vaters und die gefühlsmäßige Reaktion der Mutter darauf.
Dasselbe gilt für das Hören von Musik. Musik wirkt beruhigend, entspannend, wohltuend auf den Fetus und später auf das Kind, wenn die Mutter diese Musik als beruhigend, entspannend, wohltuend empfindet. Musik wirkt auf jeden Menschen anders. Und die Vorlieben der Mutter prägen auf diese Weise zunächst auch die Vorlieben des Kindes. Später wird es seinen eigenen Geschmack entwickeln.
Das Kind hört über die Knochenleitung vor allem die Stimme der Mutter. Ihre Melodie, ihr Sprechrhythmus prägen sich ihm tief ein. Mit der Stimme der Mutter verknüpft sich für das Baby ein bestimmtes Klangerlebnis und gleichzeitig die Erfahrung von absolutem Wohlbehagen. Die Geborgenheit der Gebärmutter verbindet sich auch immer mit dem Klang dieser Stimme. Und später, für das Baby, für das Kind, ist die Stimme der Mutter der schönste Klang der Welt. So rettet es ein Stück des paradiesischen Zustandes in der Gebärmutter hinüber in sein Leben außerhalb.
Die Erfahrungen von Glück und Sicherheit, die das Kind verknüpft mit diesem Gehaltenwerden im Uterus und mit dem Klangerlebnis der mütterlichen Stimme, sind der Ursprung späterer Sehnsüchte und Erwartungen. Berührt und gehalten zu werden, eingehüllt in Töne, in angenehme Klänge, bedeutet für viele Menschen eine Quelle von Erholung, von Entspannung, von Wohlbefinden und kann heilsam wirken. Neugeborene erkennen die Stimme ihrer Mutter und hören sie gerne.
Wenn es dann aber die Stimme der Mutter hört, kommt Bewegung in das Kind: Es dreht den Kopf, sucht die Sprecherin, der ganze Körper drückt eine freudige Spannung aus. Fremde Personen sind sofort uninteressant für das Baby, es richtet seine volle Aufmerksamkeit auf die Quelle seines Behagens.